interview
Stand: 27.03.2023 16:36 Uhr
Generalstreik und anhaltende Proteste: Befindet sich Israel in einer innenpolitischen Krise? Nein, sagt Botschafter Prosor im tagesschau24-Interview. Die Demos gegen die geplante Justizreform seien Ausdruck einer gesunden Demokratie.
tagesschau24: Verstehen Sie sich eher als Erklärer oder als Verteidiger der Politik von Premierminister Benjamin Netanyahu?
Ron Prosor: Was man in Israel sieht, sind die demokratischen Strukturen und die Stärke der israelischen Demokratie. Das zeigen die Demonstrationen. Natürlich haben wir eine Spaltung in der israelischen Gesellschaft. Diese Krise zeigt: Wenn man Veränderungen möchte, muss man miteinander sprechen und nicht übereinander.
Zur Person
Ron Prosor ist seit August 2022 israelischer Botschafter in Deutschland. Er hat fast drei Jahrzehnte Erfahrung im israelischen Außenministerium. Zwischen 1988 und 1992 war er Sprecher der Botschaft in Bonn. Es folgten Positionen als Botschafter in London und bei den UN in New York. Zuletzt leitete er das Abba-Eban-Institut für internationale Diplomatie an der Reichmann-Universität in Herzliya.
"Viele denken, dass es Reformen geben soll"
tagesschau24: Wer könnte das Land denn jetzt wieder einen? Könnte das vielleicht Präsident Isaac Herzog sein?
Prosor: Präsident Herzog versucht es wirklich. Vor zwei Wochen hat er einen Vorschlag vorgelegt. Dafür hat er quasi unter dem Radar gearbeitet, um die Leute zusammenzubringen. Letztendlich trifft aber Ministerpräsident Netanyahu die Entscheidung. Das ist wie in Deutschland. Ich glaube, dass viele Menschen denken, dass es Reformen geben soll. Aber es ist die Art und Weise, die die Leute auf die Straße bringt.
"Brauchen eine Balance zwischen den 'Checks and Balances'"
tagesschau24: Deutschland hat ja zum Beispiel eine zweite Parlamentskammer. Die USA haben auch eine zweite Parlamentskammer, die für die "Checks and Balances" (Anm. d. Redaktion: Überprüfung und Ausgleich) sorgen. In Israel ist es ja im Grunde nur das Oberste Gericht. Ist das vielleicht auch das Problem?
Prosor: Wir haben andere Strukturen. Aus meiner Sicht müssen wir auf uns selbst blicken und uns nicht mit Modellen aus anderen Ländern vergleichen. Auch in Deutschland werden die Richter (Anm. d. Redaktion: Gemeint sind die 16 Richter des Bundesverfassungsgerichts) mit einer Zweidrittelmehrheit vom Bundestag und Bundesrat gewählt.
Die Herausforderung ist, die Strukturen so zu gestalten, dass ein wirklich ausgewogenes System - quasi eine Balance zwischen den "Checks and Balances" - entsteht. Und das versuchen wir jetzt in Israel zu tun. Es ist eine heftige Diskussion.
tagesschau24: Können Sie die Proteste nachvollziehen?
Prosor: Ja, natürlich. Ich glaube, dass jeder darauf stolz sein kann. Sie in Deutschland und in Europa hätten besorgt sein müssen, wenn es keine Demonstrationen in Israel gegeben hätte.
"Beziehung zu Deutschland ist die zweitwichtigste"
tagesschau24: Wie sehen Sie Deutschland? Ist Deutschland für Israel ein guter Partner? Oder ist da noch Luft nach oben?
Prosor: Erstens gibt es immer Luft nach oben - auf jeden Fall. Nach den Vereinigten Staaten ist die strategische Beziehung zwischen Deutschland und Israel die zweitwichtigste. Auf allen Ebenen. Das heißt auch Jugendaustausch, Wirtschaft, Forschung. Ich denke aber auch an die militärische und die Ebene der Verteidigung. Die Beziehung ist wirklich tief und stark.
tagesschau24: Sie haben selbst deutsche Wurzeln. Ihre Vorfahren stammen aus Berlin. Wie möchten Sie die deutsch-israelische Freundschaft voranbringen?
Prosor: Der Jugendaustausch ist eines meiner wichtigsten Ziele. Israel und Deutschland haben eine Vergangenheit, aber wir müssen auch die Zukunft gestalten - mit Jugendlichen. Beim Jugendaustausch kommt man miteinander ins Gespräch, man lernt sich wirklich sehr gut kennen.
Das ist die Zukunft. Das müssen wir ausbauen. Mehr Jugendliche sollen nach Israel fahren und mehr Israelis nach Deutschland. Der Austausch hat eine Wirkung über Jahre hinweg.
"Nur ein starkes Israel kann Frieden erzielen"
tagesschau24: Das ist jetzt die perfekte Überleitung zu einem Reizthema, dem Nahostkonflikt. Warum ist dieser Grundkonflikt zwischen beiden Seiten offensichtlich nicht zu lösen?
Prosor: Dafür brauche ich mindestens ein dreitägiges Seminar. Wir Israelis haben in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass wir mit ausgestreckter Hand auf jeden zugehen, der Frieden mit uns möchte. Das haben wir im Fall von Ägypten und Jordanien gezeigt.
Wir müssen uns aber mit der anderen Hand auch selbst schützen. Nur ein sehr starkes Israel kann in dieser Nachbarschaft Frieden erzielen. Und das versuchen wir. Es ist nicht leicht, aber es ist klar für uns, dass das wirklich die Antwort ist. Wir arbeiten daran Tag und Nacht.
Und ich hoffe, dass unsere Nachbarn - die nicht gerade Liechtenstein und Luxemburg sind - das auch verstehen. Wir müssen immer mit einem offenen Auge schlafen, denn Israels Sicherheit wird immer wieder bedroht.
Das Interview führte André Schünke, tagesschau24.
Für die schriftliche Fassung wurde das Interview redaktionell bearbeitet und leicht gekürzt.
- Israel
- Justizreform
- Interview
- Nahostkonflikt