Am 14. Mai1948 verlas der spätere erste israelische Ministerpräsident David Ben Gurion inTel Aviv die Unabhängigkeitserklärung Israels. In diesen Tagen wird die Staatsgründung gefeiert, überschattet von den Protesten gegen die geplante Justizreformdes Premierministers Benjamin Netanjahu und Raketenangriffen aus Gaza, die vomisraelischen Militär mit Luftangriffen beantwortetwerden. Ron Prosor, Israels Botschafter in Deutschland, spricht im Interviewüber den Terror von Hamas und Islamischem Dschihad, über "krassen" Antisemitismus, wie er von Künstlern wie Roger Waters verbreitet wird, und darüber, wie er Frieden stiften möchte.
ZEIT ONLINE: Der Staat Israel feiert sein 75-jähriges Bestehen, parallel dazu feuernTerroristen aus dem Gazastreifen Raketen auf Israel und seine Bürger. IsraelsArmee reagiert mit gezielten Aktionen gegen Anführer des Islamischen Dschihad.Wann ist es eigentlich wieder so schlimm geworden?
Ron Prosor: Im Jahr 2005, als Israel beschlossenhatte, alle 21 Siedlungen im Gazastreifen zu räumen, war ich Staatssekretär.Ariel Scharon war damals Premierminister. Wir hatten keinen Verhandlungspartner.Aber alle haben damals gesagt, die bestehenden israelischen Siedlungen in Gaza seiendie größte Hürde auf dem Weg zum Frieden. Wir wollten zeigen, dass es einepolitische Lösung gibt und zogen aus Gaza ab. Doch die Terroristen haben dasfalsch verstanden. Deren Narrativ war: Die Israelis fliehen vor uns wegen derGewalt. Und machen bis heute weiter mit ihrem Terror. Es gab seit unserem Abzugkeine Zeit, in der wir nicht attackiert wurden.
ZEIT ONLINE: Aber war esrichtig, Gaza zu verlassen?
Prosor: Es gibt viele in Israel, die glauben,dass dieser Rückzug ein Fehler war. Ich glaube, dass Israel so strategischbesser aufgestellt ist. Die Hamas hätte diese Gelegenheit nutzen können, umSchulen, Krankenhäuser und Wasserleitungen zu bauen. Ein Großteil der Warenlieferungenwird aber für Raketen und Terrortunnel missbraucht. Die palästinensischeZivilbevölkerung wird von der Hamas als Geisel genommen und tagtäglich wirdIsraels Zivilbevölkerung bedroht. Allein in den letzten Tagen waren es über 800Raketen, die vom Islamischen Dschihad von Gaza nach Israel geschossen worden. Esmuss klargemacht werden, dass Israel nicht nur das Recht, sondern auch diePflicht hat, seine Bevölkerung zu schützen.
ZEIT ONLINE: Bei IsraelsLuftangriff in der Nacht zum Dienstag wurden nicht nur drei ranghohe Mitgliederder militanten Palästinenserorganisation Islamischer Dschihad getötet, sondernauch Zivilisten, Mütter und Kinder.
Prosor: Die Terroristen verstecken sich absichtlichunter Zivilisten und nutzen sie als Schutzschilde. Mit dieser Aktion haben wirdrei Tage gewartet, weil wir keine Zivilisten verletzen wollten. Anders als diePalästinenser achten wir auf den Schutz der Zivilbevölkerung. Wenn es dennochzu zivilen Opfern kommt, ist das schrecklich.
ZEIT ONLINE: Sie haben malerwähnt, dass Sie sich über den Begriff "Spirale der Gewalt" ärgern. Warum?
Prosor: Wir erleben im Nahostkonflikt keineSpirale der Gewalt. Wir reagieren auf die Taten der Hamas und des IslamischenDschihad. Den Raketenhagel von Hamas und Islamischem Dschihad kann kein Staattolerieren. Wenn Ruhe in Israel ist, ist auch Ruhe in Gaza.
ZEIT ONLINE: Es gibtkritische Stimmen in Israel, die sagen, dass der Premierminister Benjamin Netanjahu verstärkt auf das Thema Sicherheit setzt, um von den innenpolitischenProblemen abzulenken.
Prosor: Diese Argumentation finde ich zynisch.Der Premierminister ist dafür bekannt, dass er sehr vorsichtig ist. Im gesamtenpolitischen Spektrum, ob Opposition oder Regierung, von links nach rechts, gibtes einen Konsens über die aktuelle Operation "Schild und Pfeil". Esgibt in Israel einen Konsens, dass wir uns verteidigen werden.
ZEIT ONLINE: Wie erklärenSie sich das Festhalten des Premierministers an der so umstrittenenJustizreform?
Prosor: Eine Demokratie braucht Reformen. Diegroße Frage ist, welche, wie tief und wie viel? Das ist die Diskussion, dieheute unter Schirmherrschaft von Präsident Herzog stattfindet. Ich hoffe aber,dass wir letztendlich einen Kompromiss finden werden. Sie in Deutschland müsstenbesorgt sein, wenn es in Israel keine Demonstrationen der Bürger dagegen gegebenhätte. Die Proteste zeigen, wie stark unsere demokratischen Strukturen sind.Ich bin sehr stolz, dass wir diese lebendige und energievolle Demokratie haben.
ZEIT ONLINE: DieInternationale Atomenergieagentur (IAEA) hat im Iran Partikel von sehr hochangereichertem Uran gefunden und warnt davor, dass dies womöglich schon für denBau von Atombomben ausreichen könne. Fordern Sie mehr internationaleUnterstützung, speziell auch von Deutschland?
Prosor: Seit Jahren weist Israel auf dieBedrohung aus dem Iran hin, nicht nur im Hinblick auf Nuklearwaffen. Der Westenund Israel haben einen gemeinsamen Feind, das sind die Ajatollahs und dieMullahs im Iran, nicht das iranische Volk. Der Iran terrorisiert nicht nurIsrael mit Waffenlieferungen an die Hamas, er liefert auch Drohnen an Russland,die die Ukraine angreifen und wiederum in Syrien eingesetzt werden.Gleichzeitig werden im Iran die Frauen- und Menschenrechte mit Füßen getreten.Deutschland sollte die iranischen Revolutionsgarden als terroristischeVereinigung einstufen, so wie es die USA bereits 2019 getan haben.
ZEIT ONLINE: BundeskanzlerOlaf Scholz sprach von einer "Zeitenwende" in Deutschland als Reaktion auf denAngriff Russlands auf die Ukraine. Im Zuge dessen ist deutlich geworden, dassDeutschlands Militär schlecht ausgestattet ist. Wie kann Israel, das Land mitder modernsten Armee der Welt, Deutschland unterstützen?
Prosor: Um zu verstehen, was mit derZeitenwende gemeint ist, muss man die Ausgangssituation der beiden Ländervergleichen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Narrativ in Deutschland: Niewieder Krieg! In Israel war das Narrativ anders: Nie wieder werden wir uns aufjemand anderes verlassen, wenn es um unsere Sicherheit geht. Wir werden unsselbst verteidigen! In dieser Hinsicht bedeutet die Zeitenwende eine Einsicht:Wenn man seine eigenen Werte und demokratischen Strukturen schützen will, dannmuss man die Fähigkeit haben, diese auch zu verteidigen. Die Tatsache, dassIsrael Deutschland mit dem Raketenabwehrsystem "Arrow 3" beschützen kann,grenzt für mich an ein Wunder. Darauf bin ich sehr stolz. Deutschland ist nebenden USA unser wichtigster Partner.